Dieterich Buxtehude
Freie Orgelwerke BuxWV 162-176 und 225
Praeludien – Fugen – Canzonetten – Toccaten – Canzonen
Ulrich Eckhardt
am Kemper-Brüstungspositiv (1960) in der Kirche zu Rodenäs (Nordfriesland)
Aufnahme: Juli 2009, Tontechnik: Manne Burmeister, Remastering: Reiner Wirth
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Musica Poetica
Dieterich Buxtehude wurde vermutlich 1637 als Sohn des aus Oldesloe in Holstein stammenden Organisten Johannes Buxtehude geboren – entweder im holsteinischen Oldesloe oder im damals dänischen Helsingborg. Er starb am 9. Mai 1707 in Lübeck.
Als Organist wirkte er seit 1657 in Helsingborg, 1660 bis 1668 in Helsingør und seit 1668 als Nachfolger Franz Tunders (1614-1667) in Lübeck an St. Marien, wo er 40 Jahre ohne Unterbrechung seinen kirchlichen Dienst versah. Die Organistenstelle an der Lübecker Marienkirche war seinerzeit für den gesamten nordischen Raum maßgebend und deshalb am besten ausgestattet. Die Stellung eines Marienorganisten und -kantors entsprach der eines hanseatischen Musikdirektors. Er hatte für Musik zu öffentlichen Anlässen und Festlichkeiten zu sorgen, Kompositionsaufträge der Patrizierfamilien zu erfüllen und für Hochzeiten wie Beerdigungen zu komponieren. Er führte die von Franz Tunder um 1646 begründete, seit 1673 als Abendmusiken bezeichnete Reihe geistlicher Konzerte fort. Sie machte ihn als Komponisten und Organisten berühmt. Diese bis heute existierende Serie von eintrittsfreien Konzerten wurde zum Muster eines repräsentativen bürgerlichen Konzertwesens.
Buxtehudes Präludien, Fugen, Canzonen und Canzonetten können Zwischenstücke für den Gottesdienst gewesen sein, aber es überwiegt bei weitem der Charakter ungebundener Fantasien zur Erprobung neuer Formen. Die Werke sind von einem starken Individualstil geprägt – von Erfindungsreichtum, unbekümmerter Regellosigkeit im Variieren von eingängigen Themen bodenständigen Charakters im reich geflochtenen Kontrapunkt. Mit abwechslungsreichen Tempi und rhetorischer Gestik ohne starre Rhythmik bleibt der Verlauf eines Stücks stets voller Überraschungen.
Musikhistorisch betrachtet ist Buxtehude das Genie des norddeutschen Hochbarocks; er verkörpert den Willen zur Erneuerung nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Der Mensch – noch als Teil des Ganzen – wird als Individuum mit Leidenschaften und Träumen erkannt. Gefühle, Affekte und Pathos gewinnen Platz in den Künsten – auch in der Musik. Das Weltbild soll harmonisch und rational geordnet sein. Leidenschaften sollen durch vernünftige Ordnung gesteuert werden.
Musik wird zur Sprache der Aufklärung, zur Tonsprache (Musica poetica), die etwas erzählt, predigt, erklärt und verkündigt. Mittel avancierten Komponierens ist die musikalische Architektur, beginnend mit der Erfindung eines Motivs und dessen weitere Entfaltung durch Ausschmückung mit Verzierungen, Variationen, Akkordbrechungen, Wiederholungen, zeitlich versetzt als Fugen. Der musikalische Ablauf wird eingeteilt in Abschnitte und Sätze. Pausen, ostinate Repetitionen oder Echos erhöhen den Affektgehalt, lassen imaginäre Räume entstehen.
Buxtehudes Musik klingt, als ob sich Menschen über wichtige oder heitere oder alltägliche Angelegenheiten unterhalten. Die Dialektik von Rede und Gegenrede zeigt sich in widersprüchlichen Harmonien, im Wechsel der Tonarten und in chromatischen Linien. Gleichsam wird ein Text in Musik verwandelt.
Buxtehudes Bedeutung für die gesamte Geschichte der abendländischen Musik kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sein Einfluss reicht weit hinaus über den musikalischen Barock; seine Spuren finden sich noch in Werken der Klassik und Romantik.
Die auf der CD zu hörenden Toccaten, Fugen, Canzonen und Canzonetten sind mehrteilig aufgebaut, tänzerisch, dialogisch raffiniert und filigran. Als formvollendete, knappe Studien, die so einfach, leicht, logisch, einleuchtend und selbstverständlich klingen, zeigen sie alles, was Buxtehudes Schaffen kennzeichnet: Erfindungsreichtum und Formsinn, Anmut und Kraft, Lebenslust und Entdeckerfreude. Ulrich Eckhardt (gekürzter Begleittext zur CD)