Das Festival als Gesamtkustwerk

Anmerkungen zu Ulrich Eckhardt

Foto: Thilo Rückeis / Der Tagesspiegel

Haben Sie Vorbilder?

Ganz sicher der ehemalige Intendant der Berliner Festspiele Ulrich Eckhardt, der eine Führungspersönlichkeit war, wie man sie jeder künstlerischen Institution wünschen würde: Unglaublich offen, bestens informiert, leidenschaftlich an der Kunst interessiert. Er hat seine Leute immer machen lassen, ihnen vertraut und sich bei Problemen hinter sie gestellt. Auf der anderen Seite konnte er, ohne ständig zu kontrollieren, riechen, wenn es irgendwo klemmte und hat dann auch klare Entscheidungen getroffen. Bei ihm habe ich mir viel abgucken können.

Heike Hoffmann, 19912001 Leiterin der Musik-Biennale, jetzt Intendantin der Schwetzinger Festspiele, im Interview mit SWR Classic, 2016

Eckhardt war ein Bewegender in den geistigen Dingen der Stadt, eine Agentur für Ideen. Er hat das intellektuelle Betriebssystem in Berlin in Gang gehalten. Zu seinen Vorzügen gehörte es, die Balance zu finden zwischen dem Geist der Zeit und dem, was den Geist der Zeit überdauert. Ebenso vermochte er einen Ausgleich zwischen den künstlerischen Disziplinen zu finden und das Festival als Gesamtkunstwerk zu gestalten.

Peter Klaus Schuster, 1999–2008 Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin

Ulrich Eckhardt hatte in Ost-Berlin einen legendären Ruf. Es hieß immer, da gibt es diesen Wundermann in West-Berlin. Als ich ihn kennenlernte, begegnete ich aber keinem jener Westberliner, die sich abschotten gegen den Osten. Nein, ich begegnete einem noblen Menschen, einem richtigen Herrn. Im Einigungsprozess war er für uns besonders wichtig und hilfreich: als einer, der keine Ressentiments oder Vorbehalte hatte.

Thomas Langhoff, Regisseur, 1991–2001 Intendant des Deutschen Theaters

Die Festwochen und Ulrich Eckhardt bedeuten für mich eine glückliche Kontinuität des Planens, des Aufspürens oft verborgener Zusammenhänge, des politischen Spürsinns im Aufgreifen auch brisanter Themen. Eckhardt war zur Stelle, wo es nötig war, immer kämpferisch engagiert für seine Sache.

Nele Hertling, 1989–2003 Intendantin des Hebbel-Theaters

Der 39jährige Westfale trat, zwei Jahre nach dem Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Nachkriegsstaaten, mit dem festen Vorsatz an, in der ehemaligen Frontstadt ein Tor zu öffnen, das bisher verschlossen gewesen war, das Tor zu dem östlichen, sozialistisch formierten Europa, und um nicht in Konflikt mit dem Bann zu geraten, mit dem das sozialistische Lager die Dreisektorenstadt wegen ihrer Anbindung an die deutsche Westrepublik belegt hatte, war er auf den Gedanken gekommen, ihre vor allem mit Bundesmitteln finanzierten Festspiele aus einer Institution des Senats in eine GmbH zu überführen; fortan firmierte sie gegenüber allen Partnern als Privatunternehmen. So war er bestens gerüstet für eine Aufgabe, die er 28 Jahre lang mit einer Empathie, Erfindungslust und Motivierungsgabe erfüllte, die geographisch wie thematisch keine Grenzen kannten, obwohl er realiter immer wieder an solche stieß.

Friedrich Dieckmann, Schriftsteller, 1972–76 Dramaturg am Berliner Ensemble, Theater der Zeit, 2019

Wäre er ein Großwildjäger, so könnte Eckhardt sich schöne Trophäen ins Zimmer hängen. Acht Berliner Kultursenatoren und sieben Regierende Bürgermeister sind bis jetzt an ihm vorübergezogen, und manches Mal hätte er sich stärkere Partner in der Politik gewünscht. Doch ist er gut gefahren mit den schwankenden Gestalten, die seit 1973, seit Eckhardts Amtsantritt, in dieser Stadt zu Kultursenatoren ernannt worden sind. Stets war er ihnen gedanklich voraus, wurde mit schöner Regelmäßigkeit als Ideengeber und intellektueller Maître de plaisir herangezogen, wenn Berlin etwas zu feiern hatte, vom Stadtjubiläum im Jahre 1987 bis zum Millennium. Und wenn West-Berlin tatsächlich einmal die Insel der Seligen war für den Kulturbetrieb, war Ulrich Eckhardt der Zauberer Prospero, wie in Shakespeares Alterswerk „Der Sturm“. Man hat ihn oft als heimlichen Kultursenator bezeichnet – ein Missverständnis. Denn er war stets der regierende Kulturmeister Eckhardt; ein eigenartiges Berliner Phänomen. Nur in dieser Stadt existiert so viel Umbruch, so viel Kontinuität und Stillstand nebeneinander.

Rüdiger Schaper, Journalist, Autor, Der Tagesspiegel, 1999

Ulrich Eckhardt, die Berliner Festspiele und die Berlinale, das sind fast drei Jahrzehnte erfolgreiche Zusammenarbeit. Unter seiner Schirmherrschaft haben die Filmfestspiele prosperiert. Natürlich war es eine nicht immer spannungslose Zeit, aber Ulrich Eckhardt hat vieles ausgeglichen und seine Hand darüber gehalten. Er hat nicht in unsere Arbeit hineingeredet und dafür gesorgt, dass uns auch sonst niemand in unsere Arbeit hineinredet. Gewiss hat er oft im Hintergrund Probleme austariert, die wir vorne auf der Bühne des Geschehens gar nicht so wahrgenommen haben.

Ulrich Gregor, 1980–2000 Leiter des Internationalen Forums der Berlinale

Ulrich Eckhardt ist ein großer Menschenverführer und Menschenführer. Als solchen habe ich ihn kennen, schätzen und auch lieben gelernt. Er versteht es, sein Publikum zu bezaubern, zu verzaubern, aber auch in unwegsames Kulturgelände zu verführen. Er ist, ganz im Sinne Thomas Bernhards, ein Kulturfallensteller. Als solcher hat er Berlin verändert und bereichert. Die Berliner Festspiele am Ende des Jahrhunderts sind ein imposanter Nachlass zu Lebzeiten.

Elmar Weingarten, 1995–2001 Intendant der Berliner Philharmoniker

Seinen Intendantenposten trat er 1972 mit dem Programm an, den internationalen Festspielbetrieb mit einer historischen und sozialen Selbstvergewisserung der Stadt zu verknüpfen. Diese Polarität blieb für ihn über die Jahrzehnte kennzeichnend: Er holte die großen Namen aus den Pariser, Londoner und New-Yorker Konzerthäusern in die Stadt, durch deren Straßen er radelte auf den Spuren einer vergessenen Alltagsgeschichte.

Harald Jähner, Journalist, Autor, Berliner Zeitung, 2000

Wer sich in seine Nähe begab, wurde in die Pflicht genommen. Man kam zu einem zwanglosen Informationsaustausch, man verließ die Budapester Straße eine Stunde später, ohne dessen recht gewahr geworden zu sein, als funktionaler Teil eines größeren Ganzen. Eckhardts Kulturidealisierung war auch deshalb so entwaffnend, weil er höhere politische Ziele im Gepäck hatte: Erst die Entspannung im Kalten Krieg, dann die Neudefinition Berlins nach der Einigung.

Christoph Stölzl, 2000–2001 Berliner Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur

Kühne Ausstellungsprojekte hat Ulrich Eckhardt realisiert, teilweise gegen erheblichen Widerstand: „Preußen – Versuch einer Bilanz“ 1981, „Berlin, Berlin“ 1987, die „Jüdischen Lebenswelten“ 1992, die „Deutschlandbilder“ 1997, die „Sieben Hügel“ zur Millenniumfeier. Neben der Konzeption der alljährlichen „Berliner Festwochen“ bildete die Erinnerungskultur stets einen Hauptpfeiler seiner Arbeit, er hat den Gropius-Bau als Museum wachgeküsst, die „Topographie des Terrors“ ermöglicht, die 750-Jahr- Feier der Stadt gestaltet – und sich dabei stets als Protagonist einer Kulturförderung begriffen, „die das Risiko belohnt, das Experiment und den Widerstand fördert und nicht die Anpassung“

Frederik Hanssen, Journalist, Autor, Der Tagesspiegel, 2018

Mit Mut, Chuzpe und persönlicher Überzeugungskraft gelang Eckhardt nicht nur der Kulturaustausch mit der DDR und den Ländern Osteuropas, sondern auch 1987 die Koordination der Veranstaltungen zur 750-Jahr-Feier Berlins. Nach der Wiedervereinigung führte er lohnende Initiativen der DDR wie die Musik-Biennale weiter. Sein Abschied 2001 bedeutete eine schmerzliche Zäsur.

Albrecht Dümling, Musikwissenschaftler und -kritiker, Neue Musikzeitug, 2018


Die Zitate ohne Quellenangabe stammen aus dem „Tagesspiegel“ vom 20. 12. 2000