Federico (oder Frederic) Mompou i Dancausse (1893-1987) war ein katalanischer Komponist, der in Barcelona und Paris lebte und arbeitete. Seine dessen Lebensspanne umfasst das ganze 20. Jahrhundert – samt zwei Weltkriegen, dem kaltem Krieg, Francos faschistischer Diktatur und deutscher Okkupation. Seine Zeit wird in seinen Kompositionen hörbar. In den Annalen der Neuen Musik steht er am Rande als markante eigenwillige, eigenständige Persönlichkeit. Wie Chopin schuf er fast nur Werke für Klavier, und er war sein eigener Interpret.
Als sein Chef-d’œuvre gilt Música callada: 4 x 7 (=28) musikalische Essays in vier Heften, komponiert zwischen 1959 und 1967 – eine einstündige Reise in einen Kosmos der Klavierklänge. Ein Tonfall aus Melancholie, Wehmut, Trauer, Stille und Versenkung bestimmt den Ausdruck. Dissonanzen und Cluster, spezifisch für das Klavier komponiert, lassen unerhörte Klänge, Schwebungen und Mischungen aus Obertönen hören, die sich weitgehend der Notation entziehen; sie bilden Zentren einer filigranen atonalen Musik, die sich vom Materiellen und Sinnlichen ins Immaterielle und Geistige verwandelt. Fast jeder Satz mündet ins Offene: Einzelne Töne verklingen, Klangfarben folgen ihren eigenen Gesetzen und erfüllen den weiten Klangraum. Das Enden im Unfassbaren, im Stillstand der Klänge, verleiht der Komposition eine starke spirituelle Sogwirkung: Musik des unendlichen Klangs. Das Hören verlangt Hingabe und kontemplative Bereitschaft.
Callada heißt: leise – ruhig – still – verschwiegen.
Die starke spirituelle Wirkung lässt sich nur erfahren, wenn der Zyklus im Ganzen und in Stille vollständig gespielt und gehört wird. Das isoliert einzeln gespielte Stück verlöre seinen Charakter.
Mompou beschreibt im Vorspann zum ersten Heft die Schwierigkeit, die Bedeutung des Titels zu übersetzen, und verweist auf den spanischen Mystiker Johannes vom Kreuz (1542–1591), der in einem seiner Gedichte «La Música Callada, la Soledad Sonora» besungen hatte: die Idee einer Musik, welche die Stimme des Schweigens selbst sei:
Il est assez difficile de traduire et d’exprimer le vrai sens de „Música Callada“ dans une langue autre que l’espagnole. Le grand poète mystique, San Juan de la Cruz“, chante dans une de ses belles poésies: „La Música Callada, la Soledad Sonora“ cherchant à exprimer ainsi l’idée d’une musique qui serait la voix meme du silence. La musique gardant pour soi sa voix „Callada“, c’est à dire „qui se tait“ pendant que la solitude se fait musique.
… Musik, die nur verschwiegen tönt, Einsamkeit, die in Klängen spricht …
… Soledad meint: Einsamkeit, Alleinsein in spiritueller Versenkung.
Es erscheint zu einfach, „Musik der Stille“ oder „tönende Einsamkeit“ zu sagen. Richtiger ist Musik der Verlangsamung, Entschleunigung, Einkehr, Verinnerlichung oder Nachdenklichkeit – also eine philosophische, jedoch keine therapeutische Musik des Wohlgefühls. Dafür ist sie zu beredt und enthält sie zu viel Dramatik und Gestik: Es ist ergreifende narrative menschliche Musik des 20. Jahrhunderts, die Utopien und Schönheiten, Abgründe und Schrecken beschreibt und die ich mit Samuel Becketts Texten assoziiere, wenn ich mir beim Spielen selbst zuhöre.
Ulrich Eckhardt
Erläuterung zur bei Note&Ton erschienenen CD