Erik Satie . l’autre . au fond

… ich bin selbst Humorist gewesen … jetzt bin ich es nicht mehr … das ist schade …

Die Programmfolge der 2019 bei Note&Ton erschienenen CD  ruft den anderen Satie auf – nicht den witzigen, zuweilen skurrilen Ironiker, eher den Konstrukteur von Klängen und suchenden Mystiker, den sanften Rebell und melancholischen Visionär.  Das aufgezeichnete Konzertprogramm war konzipiert als klangliches Kontinuum und Collage aus Teilen des Oeuvres von 1886 bis 1919. Vollständig zu hören sind nur die ‚Sarabandes’ (1887) und die ‚Nocturnes’ (1919) sowie die bekannten ‚Gymnopädies’ und ‚Gnossiennes’. In der Mitte sind einige Kompositionen der theosophischen Ära pars pro toto versammelt. Stellt sich im Verlauf des Hörens Melancholie ein, so trifft das einen entscheidenden Wesenszug, den Weg in die Abgründe – in den Sinn des Lebens. Saties Schaffen ist durchzogen von Schwermut, die mit schöpferischer Kraft Erkenntnisse fördert und Zeitempfinden verändert.

Erik Satie schuf experimentelle Musik: Kristalline, emphatische und spirituelle Einfachheit grenzt sich von der klassisch-romantischen Musikästhetik ab. In Metrik und Form nimmt Satie sich alle Freiheiten, und seine Harmonik überschreitet die Grenzen der überlieferten Konventionen. Satie vollendet, was schon der späte Liszt imaginierte.

Konsequenter als in den populären ‘Gymnopédies wird die insistierende Wiederholung eines Melodiefragmentes in den ’Gnossiennes‘ zum kompositorischen Prinzip. Die 4. ‚Gnossienne’ entstand 1891, als sich Satie für kurze Zeit (1890 bis 1892) dem Orden der Rosenkreuzer anschloss und deren Musiker wurde. Nach der Trennung gründete er seine eigene „Eglise Métropolitaine d’Art“. In ihrer hierarchischen Struktur war die Kirche konzipiert für Hunderte von Millionen von Mitgliedern; aber sie hatte nur ein einziges Mitglied – Satie selber, der sich selbst bischöfliche Hirtenbriefe schrieb.

Während seiner spirituell geprägten Zeit setzte sich Satie mit musikalischen Formen des Mittelalters sowie der Gregorianik auseinander und komponierte zu wenig beachtete spirituelle Werke: Danses Gothique, Sonneries de la Rose + Croix, Prélude à la porte héroique (sich selbst gewidmet!) und für seine eigene Kirche die „Messe des pauvres“: in einem vertikalen Stil, einer Folge parallel verschobener komplexer Akkorde, die als Klangfarbenwechsel wirken, langsam verlöschende Klänge – changierend zwischen unisono Einstimmigkeit und vollgriffigen Fortissimo-Akkorden.

Sein Leben war ein trauriges Sich-Verlieren und ein fröhliches Sich-Absetzen. Beide Momente finden sich im Werk. Die Danses Gothiques … gehen bildlich gesprochen in die Tiefe, einmal räumlich-zeitlich: in eine mittelalterliche Welt mit ihrer Frömmigkeit, zum anderen klanglich: die seinerzeit (1893 !) höchst neuen und eigenartigen Harmonien beruhen auf den tiefen Basistönen, aus den der Klang gleichsam hervorquillt… (Dieter Schnebel).

Die ‚Danses gothique’ heben herkömmliche Vorstellungen vom Zeitablauf auf. Immer gleiche Melodie- und Akkordmuster werden stets aufs Neue zusammengesetzt – ohne narrative Entwicklung vom Anfang zum Ende. Statt Erzählungen werden Zustände hervorgerufen. Der Schmerz des Verlusts seiner Geliebten klingt im ersten Satz an: à l’occasion d’une grande peine. Seine Liebesbeziehung zur Malerin und Trapezkünstlerin Suzanne Valadon, eine amour fou, dauerte nur vom 14. Januar bis 20. Juni 1893 – Tag für Tag minutiös festgehalten auf einer mit einer Haarlocke verzierten Tafel aus Pappe.

Es zeugt von musikalischer Universalität, dass Satie so entgegengesetzte Geisteswelten wie die von John Cage und von Olivier Messiaen gleichermaßen beeinflussen konnte.

Die selten aufgeführten „Cinq Nocturnes“ aus dem Jahre 1919 gehören zum Besten der Klavierliteratur. Sie sind einfach und melodiös geformt – reine, objektive Musik, entgegen ihrer Benennung mit einem unzeitgemäßen Begriff aus der Romantik – und diesen mit neuem Inhalt füllend:

Beim Schreiben dieses Werkes wollte ich der Schönheit von Platos Dialogen absolut nichts hinzufügen: es handelt sich hierbei vielmehr um eine Tat der Pietät, die Träumerei eines Künstlers, um eine bescheidene Ehrbezeugung (…). Die Ästhetik dieses Werkes liegt beschlossen in seiner Deutlichkeit, begleitet und geleitet von Einfachheit. Das ist alles: nichts anderes habe ich gewollt….


… im Leben … hat man ernsthaft zu sein … das ist das Einzige, was ich weiß …  alles muss man ernsthaft tun: … wenn man dumm ist … so sollte man es auf ernsthafte Weise sein … jawohl … man muss würdevoll auftreten   … zur Würde zurückfinden – selbst in der Dummheit … diese Würde wurde nicht für die Hunde erfunden ……. man bediene sich ihrer ….


John Cage 1958 über Erik Satie:

Um sich für Satie zu interessieren, muss man vor allem anderen seine eigenen Interessen fahren lassen und hinnehmen, dass ein Klang ein Klang ist und ein Mensch ein Mensch …

und Illusionen über Ordnungsideen, Gefühlsausdrücke und den ganzen Rest unseres geerbten ästhetischen Papperlapapps aufgeben …


In der Edition Abakus erschien 2020:
Iwona Mickiewicz, Je m’appelle Erik Satie – Collagen zu Texten