Epilog eines kulturpolitischen Plädoyers (2001)
Ich sehe Kultur als Bestandteil eines gesellschaftlichen Systems, in dem die kulturellen Möglichkeiten und die künstlerischen Medien eingesetzt und auch funktionalisiert werden können und auch dürfen für die Zwecke der Bildung und der sozialen Betreuung. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Beitrag, den Kunst leisten kann, in seinem Wert bis jetzt noch gar nicht recht erkannt worden ist.
Ulrich Eckhardt, 1972 im Gespräch mit Rainer Höynck
Dass die Welt ungerecht ist, war den meisten Menschen stets klar. Die Einkommens- und Vermögensunterschiede klaffen jetzt immer stärker auseinander – in einer Finanzkrise weiter forciert. Verluste werden mit Hinweis auf eine notwendige, unumgängliche Systemrettung sozialisiert, Gewinne bleiben den Gierigen erhalten, der Alltag wird für die Konsumenten teurer. Managergehälter stehen in keinem Verhältnis mehr zu deren Arbeitsleistung und derjenigen aller anderen Wertschöpfer. Ganze Staatshaushalte werden mit einem Federstrich verzockt.
Die dahinterstehende Ideologie des freien Markts zeigt die Fratze und Mentalität des Zockers. Die evangelikale Ethik bremst nicht, fördert eher die schreiende Ungerechtigkeit. Hinzu kommt eine totale Anonymität der ökonomischen Akteure und Kräfte; sie sind jeder sozialen oder politischen Kontrolle entzogen, weil sie global handeln, spielen und spekulieren. Die Allgemeinheit ist angesichts der gigantischen Dimensionen, der unvorstellbaren Größenordnungen der internationalen Finanzströme dem Geschehen ahnungslos und hilflos ausgeliefert. Alles scheint auf Selbstzerstörung hinauszulaufen. Das Ethos der rechtschaffenen Arbeit und Sparsamkeit geht unter im Strudel der ungezügelten, rücksichtslosen, egoistischen Gewinnsucht. Die Finanzwirtschaft löst sich vom Realen. Gewinne werden aus irrealen, spekulativen Größen und aus dem Zeitablauf erzeugt.
Ist das auch eine Abenddämmerung der Kultur? Was die ökonomische Weltkrise für die Zivilisation bedeutet, ist noch nicht zu übersehen, aber sicher sind bevorstehende einschneidende Veränderungen. Kulturell geprägte Ethik war vordem eine regulierende Kraft gegen zügellosen Egoismus und verliert an Maßstäbe setzendem Einfluss.
Was bedeutet das alles für den anhaltenden Prozess der Evolution, die natürlich weitergeht? Schicksale, Naturkatastrophen und Zufälle gab es immer. Man arrangierte sich mit ihnen, konnte sie erklären und verarbeiten. Aber es gab sie in einer Welt, die halbwegs überschaubar schien, sicher und gestaltungsoffen. Diese Welt bricht gerade zusammen und über ihren Schutt legt sich blanke Wut.
Der Markt muss kulturell eingebettet sein, um potentiell zerstörerische demokratiefeindliche Folgen der global operierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise zu verhindern. Die Rückbesinnung auf Ethik als Element des Fortschritts tut not.
Der Markt vergiftet die Politik und mit ihr die Kultur. Die Ideologie von der Weisheit des freien Markts erweist sich als regressiv und zerstörerisch. Wir geraten in postdemokratische Strukturen, in denen öffentliche Angelegenheiten, Aufgaben einer sozial orientierten Daseinsvorsorge sowie allgemein nützliche Infrastrukturen privatisiert sind. Demokratische Institutionen und Strukturen erleiden eine schleichende Deformation, verlieren an Substanz und Effektivität – mit gravierenden Folgen: Apathie und Passivität, Rückfall in unzivilisierte Verhaltensweisen machen sich breit.
Jedoch gehört die Kultur unverzichtbar zu den Lebenssphären, die der Verwertungslogik, dem Verdrängungswettbewerb, der Gewinnsucht und einem entfesselten Markt entzogen sein sollten.
Es bleiben die Hoffnung auf kollektive Einsicht und ein Appell zur Umkehr. Kulturpolitik rückt wieder in den Mittelpunkt. Denn es ist die Hauptaufgabe der Kultur, dazu beizutragen, dass Leben und Welt menschenwürdig bleiben.
Ulrich Eckhardt, aus einem Typoskript für ein Seminar im Institut für Kultur und Medienmanagement der FU Berlin, 2001
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