Kleiner Katechismus für Kulturarbeiter

Maximen: Eros und Ethos

1.
Professionalisierung der Organisation und Veranstaltungstechnik, die neue Rolle des Kulturarbeiters als Partner der Kulturschaffenden setzt Kompetenz, Beurteilungsvermögen und Einfühlungsgabe voraus. Richtiges Rollenverständnis (Zurückhaltung und Fürsorglichkeit) macht ihn zum Mitgestalter.
2.
Finalität, Perspektive: Langzeit-Ziel-Orientierung, in einer pluralistischen, demokratischen Bürgergesellschaft eine Ästhetik des Widerstandes, Aufklärung, Reflexion, Diskurs.
3.
Ästhetische Schulung an der Kulturgeschichte, die Maßstäbe an die Hand gibt; Auseinandersetzung mit dem Werkbegriff, mit Neuen Medien und Prozesskunst; eigene Erfahrungen mit Kunst, ihren inneren Gesetzen, der Dramaturgie des Kunstwerks; Imagination, Phantasie, Schönheitsempfinden.
4.
Schonräume gewährleisten: Vermeidung von Missbrauch, Überanstrengung, Vernutzung. Der Kulturarbeiter ist wie ein Gärtner: organisches Wachsen, ruhige, liebevolle Beobachtung des Werdens und Vergehens, meditative Einstellung zum Prozess des Lebens.
5.
Visuelles Lernen: Auge und Geist – Veranschaulichung des Wissens, Lust am Denken, Annäherung zwischen Kunst und Wissenschaft, Kooperationen mit Hochschulen. Orientierungswissen ist mehr als Information. Lebenslanges Lernen, soziale Interventionen, bildungspolitische Assistenz – die anthropologischen Komponenten wohlverstandener Kulturtätigkeiten.
6.
Aktualität: aufspüren des Neuen, Informiertheit up to date, Recherche, Befragung der Tradition auf ihre Bedeutung und Wirksamkeit für die Gegenwart und ihre Probleme.
7.
Verwurzelung: lokale und regionale Vernetzung, Erforschung der Geschichte des Spielorts, Gedenken, historische Erinnerung, aktualisierende Nacherzählung von Geschehnissen, Märchen, Sagen, religiösen Ritualen. Unterstützung des Denkmalschutzes: Nachnutzung ehemaliger Produktionsstätten, Inszenierungen mit und in denkmalgeschützten Räumen, Gebäuden, Gärten.
8.
Vermittlung fremder Kulturen: interkulturelle Aktivitäten, Austausch und Begegnung, Achtung vor dem Anderen, Bewusstsein der Differenz, Einübung der Toleranz, Hilfestellung für Selbstdarstellungen der Migranten, reflektierte multikulturelle Aktivitäten und deren Einbeziehung in tradierte Zusammenhänge.
9.
Interdisziplinäre Projekte, Kooperationen – auch ökonomische Synergiewirkungen – kulturell geprägter Tourismus, Achtung vor dem Gast und dem Reisenden.
10.
Wille zum Effekt: keine scheu vor dem Event; Außenwirkung und fortgeschrittene Vermittlungspraxis, von den Kommerziellen lernend, Bedarfsanalysen als Basis der Offerten, Marketing, Public Relations, Werbung, Medieneinsatz, inhaltlich orientiertes Sponsoring, propädeutische Anstrengungen, Begleitung und Vorbereitung durch intelligente und inhaltsreiche, anspruchsvolle Publikationen, Sorgfalt in der Gestaltung von Zugangsbedingungen, differenzierte Eintrittspreisgestaltung.
11.
Wahrung der ausgeglichenen Proportionen zwischen Event und Kontinuum verantwortungsvoller Kulturarbeit, maßgeschneiderte Konzepte integrierter Angebotsstrukturen, Nachdenken über Nutzen und Schaden festspielartiger Programme.
12.
DEMOKRATIE UND QUALITÄT
MÜNDIGKEIT STATT VERDUMMUNG
Unrecht handelt, wer mindere Qualität zwecks Gewinnerzielung oder populistischer Akzeptanz anbietet. Zivilcourage als Ferment der demokratisch verfassten Gesellschaft wird durch geistig-kulturelle Bildung und Haltung gestärkt.

Epilog


Kultur ist Kraft und Gegenkraft –
zwischen Realität und Transzendenz –
nützlich und nutzlos –
Veränderung der Lebenswelt
und Bewahrung des Kerns menschlicher Individualität –
zwischen reflektierter Anpassung und bewusstem Widerstand


DAS REALE BESCHREIBEN
DEN DINGEN DEN NAMEN GEBEN
DER IHNEN ZUKOMMT
DIE BILDER ZEIGEN
DIE LEICHT ZU ÜBERSEHEN SIND
DAS HINSEHEN LEHREN
WO AUS DEM BLICK GERÄT
WAS ZU ERINNERN IST
DIE VERHÄLTNISSE ZUM KLINGEN BRINGEN
DAS DENKEN ZUM TANZEN AUFFORDERN
WENN DUMMHEIT ZUR MACHT WILL
DAS ALLES UND MEHR
KÖNNEN KÜNSTLER
MIT IHREN MITTELN
VERLOCKUNGN
ZUMUTUNGEN
BEOBACHTUNGEN
BENENNUNGEN
AUF DIE ZU ACHTEN IST

Ulrich Eckhardt