Entwurf einer Laudatio (2004)
Zu würdigen ist Daniel Libeskinds Einsatz für die humane Dimension von Architektur und Städtebau im Dienste einer urbanen Wiedergeburt der Stadt als Vielfalt von Lebensformen, Kulturen und Religionen, die zu bewahren sind. Seine Bauten, Projekte und Entwürfe beinhalten zukunftsweisende Vorstellungen für eine städtische Gesellschaft. Anstelle von Abriß und totaler Neuplanung plädiert er für Umbau und Weiterbau in der Stadtlandschaft.
Seiner vielfältigen Begabung und Ausbildung entsprechend, übersteigt er in seiner avantgardistischen Architektur die Grenzen der Disziplinen und bezieht Philosophie, Literatur, Musik und Geschichte in seine Konzeptionen ein.
Der singuläre Bau für das Jüdische Museum in Berlin kann verstanden werden nicht nur als Geschichtsmahnmal für das ausgelöschte jüdische Leben und die jüdische Kultur in Deutschland, sondern auch als eindeutiges Fanal für deren Wiederkehr und Neubeginn. „Between the lines“ nannte Daniel Libeskind seinen siegreichen Entwurf für das Jüdische Museum in Berlin, und er meinte zwei Strömungen von Gedanken. Die aus der Kreuzung der Linien entstehenden sogenannten „voids“ symbolisieren die Abwesenheit der ermordeten und exilierten jüdischen Bürger Berlins. Schon heute ist das Jüdische Museum ein internationaler Anziehungspunkt und eine Metapher für den Neubeginn Berlins nach einer epochalen Zeitenwende.
Der architektonische Denker und Philosoph Daniel Libeskind stellt unsere gewohnten Sehweisen und Erwartungen an die Baukunst in Frage und schafft Denkräume, wie z.B. im 1998 eröffneten Felix-Nußbaum-Haus, Osnabrück, seinem ersten vollendeten Museumsbau. Jüngst gewann er auch den Wettbewerb um den Erweiterungsbau für das Victoria and Albert Museum, London, wiederum hart umstritten, aber als Chaos-Spirale ein Beispiel für symbolhafte Veranschaulichung von Geschichte.
Daniel Libeskind ist ein von Berlin aus agierender, aber international tätiger Weltbürger, 1946 in Polen geboren. Nach dem Musikstudium in Israel ging er in die USA, kam über Mathematik und Malerei schließlich zur Architektur, arbeitete in London und Milano und erhielt nach vielen architekturtheoretischen und philosophischen Arbeiten schließlich erst in den 80er Jahren mit seinen Museumsbauten Gelegenheiten zur Realisierung seiner Ideen. Fazit: Daniel Libeskind ist ein keiner Richtung zugehöriger Einzelgänger in der zeitgenössischen Baukunst. Er schafft Räume gegen das Vergessen und zum Nachdenken.
Ulrich Eckhardt, Votum für Richard von Weizsäcker als (erfolgloser) Vorschlag zum „Praemium Imperiale“ 2004