Gespräch anlässlich der 25. Berliner Festwochen 1975
25 Jahre gibt es mittlerweile die Berliner Festwochen. Wir sind, wie deren Leiter, gegen Devotionalien und wollen sicherlich keine Jubelrede halten. Das Datum ist aber doch Anlaß genug, um das Selbstverständnis dieser Organisation, die kultur- und sozialpolitische Daseinsberechtigung, deren Konzepte und Definitionen zu durchleuchten.
Die Organisation „Festspiel-GmbH“ gibt Geld aus. Steuergelder, selbstverständlich, die von allen aufgebracht werden und wenigen nur zugute kommen. Die Berechtigung von Subventionen bleibe dahingestellt, auch soll nicht Nutz und Unnutz des Kulturbetriebs behandelt weiden. Es genügt, den Nachweis zu erbringen, daß die Verantwortlichen kulturelle Effektivität und sozialen Gehalt als Maßstab für ihr Handeln zugrunde legen. Die Berliner Festspiele sind für eine solche Betrachtung ergiebiger als ein einseitig ausgerichteter Theaterbetrieb. Durch die pluralistische Anlage der dort zusammengestellten Veranstaltungen, durch die große Breitenwirkung, die das Angebot nachweislich erzielt und nicht zuletzt durch die kritisch-reflektierte Position, die ihr Leiter, Dr. Ulrich Eckhardt, immer wieder erkennen läßt.
In Politikerkreisen mag es durchaus noch Relikte überkommener Denkweisen geben, die in den Festwochen eine touristische Attraktion sehen, ein konfektioniertes Glamour-Spektakel à la Salzburg. Eckhardt sieht seinen Auftrag anders, wenngleich er meint, daß es zwischen seiner und der Senatsposition keine Widersprüche, allenfalls Akzentverschiebungen gibt:
ULRICH ECKHARDT: Eine substantielle Außenwirkung kann es nur geben, wenn unsere Arbeit an der Berliner Situation gemessen Bestand und Sinn hat. Eine Außenwirkung ist also die Folge einer gut formulierten Berlin-Definition. Ich bin gegen eine ungeprüfte und repräsentativ ausgerichtete Rolle, die sich nur aus dem Konkurrenzdenken zu anderen Festivals herleitet. Nur was in Berlin Wirkung hat, kann dann berechtigt nach außen als Visitenkarte herausgestellt werden. Berlin muß als lebendiger Kulturort existent bleiben, es hilft uns gar nichts, wenn wir nur aufgesetzte Aktivität entwickeln. Und Berlin hat eine besondere Rolle, denn seit dem 19. Jahrhundert kam es hier immer zu den schärfsten Gegensätzen. Berlin ist ein transitorischer Ort, an dem die sozialen Konflikte immer scharf in kulturellen Hervorbringungen ablesbar waren. Und damit können wir nach außen wirken.
Eckhardt sieht es als seine Aufgabe an, mit neuen Projekten und einem breiter gefächerten Angebot bisher uninteressierte Bevölkerungsschichten für die kulturelle Szene zu gewinnen. Die von ihm vor längerer Zeit angekündigte und auch durchgeführte Ausschreibung hat aber bisher keinen konkreten Niederschlag gefunden in der Öffentlichkeitsarbeit der Festspiele. Daß solche Dinge behutsamer angegangen werden müssen als erhofft, kommt in seiner Antwort deutlich zum Ausdruck:
UE: Auf den ersten Blick scheint es einzuleuchten, es ist auch sozial gedacht, aber genau betrachtet ist es eher provinziell. Berlin hat aufgrund seiner schwierigen Lage topographisch eine Abseitsstellung. Wenn wir jetzt den Fehler machen, und von der Zufuhr internationaler Information abgehen, dann droht die Gefahr, daß Berlin in eine Isolation gerät. Das scheinbar richtige Argument, nicht für Minderheiten zu arbeiten, stellt sich also bei näherer Betrachtung als gar nicht so fortschrittlich heraus, denn letztlich läuft es darauf hinaus, daß die Maßstabbildung, die die Hereinnahme solcher Gastspiele bewirkt, abgebaut wird. Es ist auch notwendig, daß auf einer Minderheitenbasis ein fortgeschrittener Bewußtseinsstand hergestellt wird, der dann in der kulturellen Breitenarbeit ausgewertet werden kann.
Es sind Konzepte in der Planung, die sich mit Leuten beschäftigen, die nachweislich überhaupt nie die kulturellen Institutionen besuchen. Und das ist überhaupt unsere Chance. Wir haben kein Stammpublikum. Wir kommen jedes Jahr neu. Für uns gilt die Rolle des Anstoßes, der Eröffnung, der Diskussionsanregung, der einmaligen Zusammenfügung von Vorhandenem unter ganz bestimmtem Blickwinkel. Und unser Publikum ist mobil, es entscheidet eigenständig, ist sehr kritisch, sehr diskussionswürdig.
Diese Mobilität, der ständige Neuanfang gibt uns die Möglichkeit, zu versuchen, mit bestimmten Projekten an vollkommen neues Publikum gezielt heranzugehen. Sie wissen ja, daß auf diesem Gebiet viel gepfuscht wird. In vergangenen Jahren war ich auf diesem Sektor viel euphorischer, habe auch viel aktiver daran gearbeitet. Im Augenblick bin ich eher in einer Reflexionsphase. Es führt uns überhaupt zu nichts, wenn wir ein Publikum selbstgefällig und arrogant mit den Spielchen der Intellektuellen konfrontieren. Man muß viel einfacher anfangen, zurückgehen auf die Grundlagen und die ersten Überlegungen des Sinns von Kultur.
Man kann nicht mit avantgardistischen Mitteln in die Arbeiterbezirke gehen, wie es eine ganze Gruppe von Weltbeglückungsfanatikern tun will, deren linke Gesinnung meist nur eine rote Nelke im Knopfloch ist, nicht aber eine fundierte soziale Überlegung.
Mit Ihnen begannen die Festwochen, ihr Angebot in einer übergeordneten Fragestellung zusammenzufassen, thematisch zu gliedern und Querverbindungen durch die Kunstgattungen aufzuzeigen. Das Programmangebot zeigt aber, daß trotz klarer Definition luxurierende Konzerte angeboten werden, die völlig aus dem konzeptionellen Rahmen fallen.
UE: Meine Position ist zu schwach, um das durchzusetzen. Die verantwortlichen Institute müssen sich hinterher selbst die Frage beantworten, ob sie sich einen Gefallen getan haben, wenn sie ausscheren. In diesem Spiel der ungleichen Kräfteverteilung bin ich froh, wenn sich meine Ideen in einigen Punkten verwirklichen lassen, und ich bin hartnäckig genug, es im nächsten Jahr wieder zu versuchen. Ich nehme es niemandem übel, wenn er sich nicht anschließt, und gezwungen werden soll ohnehin nicht. Wenn sich die Interessen begegnen, ist dies eben ein glücklicher Fall.
Wir versuchen, die Veranstaltungen nicht wertfrei laufen zu lassen und einfach nur als schöne Musik zu verkaufen, sondern versuchen, die Dinge in einen Zusammenhang zu stellen und damit einen Erkenntnisvorgang zu fördern. Nein, wir wollen keine reinen luxuriösen Veranstaltungen, konsumierbar für ein abendfeierliches Publikum. Ich halte es für legitim, gleichzeitig Material anzubieten für eine kritische Wertung der Sache und damit Erkenntnisse zu fördern.
Von der CDU wurde im Wahlkampf kritisiert, daß teure Gastspiele von ausländischen Theatern veranstaltet werden, die nur von einem ganz geringen Teil der Bevölkerung besucht und verstanden werden können. Eckhardt sieht durchaus, daß dies Kritik provozieren kann, doch setzt er ihr gewichtige Argumente entgegen:
UE: Das ist ein gutes Beispiel. „Nach Damaskus“ (Gastspiel des Dramaten Theatern Stockholm, Inszenierung Ingmar Bergmann. Anm. d. Red.) ist sicher nicht für ein breites Publikum gedacht gewesen. Es handelt sich dabei um Menschen, die im gesellschaftlichen Leben eine Rolle spielen. Als Pädagogen, sozial Tätige, im Hochschulbereich, Theatermacher. Alles Leute, die die gegebenen Anstöße in ihren Gruppen auswerten können. Und ein solches Publikum wirkt dann multiplizierend in die Gesellschaft hinein. Und diesen Leuten fehlen sicher die Mittel, um ins Ausland zu reisen und sich die maßstabbildenden Arbeiten dort anzusehen. Es ist nur richtig, wenn man im Wahlkampf untersucht, ob das eine Funktion hat, was ich tue. Und ich muß immer auf der Hut sein, daß ich nicht aus falschem Ehrgeiz Dinge anbiete, die Berlin nicht braucht. Nur wenn im Sinne eines fortschrittlichen Kulturlebens Information enthalten ist, nur wenn diese Frage positiv beantwortet werden kann, haben solche Gastspiele eine Berechtigung. Im übrigen wenden wir dafür weit weniger auf, als sonst für kulturelle Zwecke veranschlagt ist. Es wird also für alle Gastspiele weniger ausgegeben als ausreichend wäre, um eine Berliner Inszenierung zu fördern.
Das Gespräch führte Urban
Münzer
Auszüge aus: Hobo – Berliner Wochenmagazin, Nr. 13, 1975