Braucht Berlin Gedenkstätten?

Zur „Topographie des Terrors“ (1992)

Die gestellte Frage möchte ich dahingehend präzisieren: Ist die „Topographie des Terrors“ eine Gedenkstätte und braucht Berlin diese Gedenkstätte?

Eröffnung der ersten Ausstellung der „Topographie des Terrors“ 1987

Vom Hinterhof zum innersten Kern der Stadt: Der Standort hat in historisch dramatischer Weise einen Bedeutungswandel und Bedeutungsgewinn erfahren. Ich befaße mich mit dem Gelände seit 1979 in Vorbereitung auf die Preußen-Ausstellung 1981, die mit dem Berliner Requiem von Hanns Eisler auf den nördlichen Schutthügeln eröffnet wurde. Damals reichte unsere Kraft nicht aus, die Mißnutzung durch Schuttverwertung und Autofahren ohne Führerschein zu beenden. Die Verwaltung des ehemaligen Reichsvermögens, die hier Wohnungsbau plante, verhielt sich in derselben Weise blockierend wie heute der Bundesfinanzminister, wenn er die Herausgabe und Zurückführung des Postparkplatzes in den ursprünglichen Gesamtzustand verweigert. Seinerzeit wußten wir noch nichts von den im Boden verborgenen Fundamentresten und Relikten. Die Architekten Fiebelkorn – von innen aus dem Gropius- Bau heraus – und Reidemeister – im Außengelände – entwickelten Vorstellungen, um das Gelände zum Sprechen zu bringen. 

Provisorische Ausstellungshalle der „Topographie des Terrors“ vor dem Martin Gropis-Bau 1990 – Foto Margret Nissen / Stiftung Topographie des Terrors, Berlin

1.

An städtebaulich markantester Stelle, zwischen privaten Investoreninteressen und Repräsentationsinteressen des Staates, umgeben von historisch besetzten und definierten Gebäuden, stellt der Entwurf für die „Topographie des Terrors“ auf dem Prinz-Albrecht-/Gestapo-Gelände an Architekten extrem schwierige Anforderungen. Nicht nur sind Gebäude zu entwerfen, die die im Raumprogramm dargestellten Funktionen (Ausstellung, Dokumentation, Begegnungsstätte) bedienen, sondern darüber hinaus muß das Gelände einerseits abgegrenzt werden (Einfriedung), andererseits verbunden werden mit der Umgebung (Einladungssignal), schließlich bedarf das Gelände einer inneren Erschließung, die den Ort zum Sprechen bringt. Auf dem Gelände befinden sich sehr heterogene Faktoren der Konzeption, die in den Entwurf zu integrieren sind: Zwei Schutthügel aus den sechziger bzw. achtziger Jahren, ein idyllisches Biotop (Robinienwäldchen) mit verwahrlostem Randstreifen, eine sehr große kahle Fläche, allmählich verwitternde, provisorisch eingehauste Fundamentreste der früheren Randbebauung, einschließlich des Prinz-Albrecht-Palais, stark gefährdete Ausgrabung des Zellenbodens des Hausgefängnisses der Prinz-Albrecht-Straße 8. Aus älterem Bestand sind nur noch ein Weg und ein westliches Eingangstor vorhanden. Um realisiert werden zu können, müssen die zu entwerfenden Gebäude möglichst auf dem der Stiftung „Topographie des Terrors“ zur Verfügung stehenden Gelände untergebracht werden, und hier stoßen sich die Dinge im Raum. Einige denkbare Orte sind aus inhaltlichen Gründen tabu. Das Biotop genießt womöglich Naturschutz. Die Schutthügel gehören zum Vermittlungsinhalt. Ein Wiederaufbau des Prinz-Albrecht- Palais ist auszuschließen. Der kooperative  Wettbewerb wird die reklamierte Öffentlichkeit und den daraus resultierenden politischen Druck auf die Regierung in Bonn herstellen. Die Blockade durch den Bundesfinanzminister ist eine Realität, die in strategisch kluger Weise allmählich aufgelöst werden muß. Dazu gehören neu geschaffene Fakten: die Stiftungsgründung und der Bauwettbewerb.

2.

Wenn die Aufgabe vollendet sein wird, ist Berlin die Bundeshauptstadt in voller Funktion. Aus den Formulierungen des Grundgesetzes mag herauszulesen sein, daß der Staat Bundesrepublik Deutschland an die Weimarer Republik und deren Verfassung anknüpft. In Wirklichkeit jedoch muß der jetzt von Berlin aus zu regierende Staat den Zivilisationsbruch und den Zusammenbruch zur Grundlage gesellschaftlicher Neugestaltung nehmen und die historische Verantwortung für Terror und Völkermord betonen. Die Bundeshauptstadt kann nicht unmittelbar an die Reichshauptstadt anknüpfen. Die Wilhelmstraße steht für Großmachtpolitik, aber ihre Umbenennung in Toleranzstraße (für den nördlich der Demarkationslinie liegenden Teil) vermag dieses Faktum nicht zu verwischen. Eine Darstellung der „Topographie des Terrors“ gehört jetzt mehr denn je in die Mitte des Regierungssitzes, um von hier aus politische Entscheidungen an historischen Kriterien zu justieren. Die „Topographie“ soll zum Kompaß für die Politik des Bundes werden.  

3.

Die von der neugegründeten Stiftung „Topographie des Terrors“ zu betreibende öffentliche Einrichtung wird eine Gedenkstätte sui generis sein, nicht vergleichbar mit den nationalen Mahn- und Gedenkstätten der ehemaligen DDR oder den KZ-Gedenkstätten der alten Bundesrepublik; kein Museum, keine Bildungsstätte, und von beidem einige Elemente. An diesem Ort wird nicht des Leidens und Sterbens gedacht, sondern hier war die Befehlsstelle des Völkermordes, der ethnisch und politisch motivierten Verfolgungen und Verbrechen. Hier war der innerste Kern der Vernichtungsmaschinerie, deren Herrschaftsgebiet durch militärische Mittel über ganz Europa ausgedehnt war. Die Befehle trugen den Absender Berlin und wurden an den Schreibtischen dieses Quartiers ausgestellt. Also ist dies der Ort der Aufklärung, wie es zur – potentiell wiederholbaren – Perversion des Staates kommen konnte, welche gesellschaftlichen und politischen Faktoren dafür maßgebend und bestimmend waren. Es ist dies kein Ort für Denkmäler oder Mahnmale, kein Ort ausschließlich emotionaler Anteilnahme, sondern ein Denkort und Lernort für die Erben der Verantwortung. Das seltsame, fragende Gelände soll im Herzen der Hauptstadt ein Störfaktor (manche sagen: eine offene Wunde) sein, der satte Selbstzufriedenheit verhindert, mindestens erschwert, der unübersehbar auf einen historischen Hintergrund dieses Staates aufmerksam macht, die Einhaltung der Menschenrechte reklamiert, Ressentiments aufdeckt, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rassenhaß durch Aufklärung aktiv bekämpft. Eine ausschließliche Musealisierung könnte diese Aufgabe nicht leisten, deshalb sind die ergänzenden, Eigeninitiative fördernden, partizipatorischen Funktionen unverzichtbar. Deshalb gehört die Begegnungsstätte unverzichtbar hinzu. Die aktive Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ wird für Didaktik und Forschung insgesamt eine zentrale Rolle in der Zusammenarbeit mit allen Mahn- und Gedenkstätten der Bundesrepublik sein. Aber kein Ort für Kranzniederlegungen, Rituale oder zeremonielle Entlastungsvorgänge.

4.

Beim jetzt beginnenden Realisierungswettbewerb handelt es sich nicht um eine Neuauflage des künstlerisch- ästhetischen Wettbewerbs von 1983/84, der die Gestaltung des Geländes als Exponat zum Gegenstand hatte. Aus den damaligen Erfahrungen resultiert ein grundsätzlicher Zweifel an der Möglichkeit, Kunst, auch Baukunst, als Mittel der Aufklärung einzusetzen. Jetzt zielt der Kommissionsbericht eher auf eine Architektur der Bescheidenheit, die nicht verspielt und nicht monumental, sondern eher funktional ist. Die von Dieter Hoffmann-Axthelm eingeforderte Differenzierung und Minimalisierung wird die richtige Definition für den einzuschlagenden Weg sein.

Ulrich Eckhardt, Typoskript für das Symposion zur „Topographie des Terrors“, 11. Dezember 1992, im Martin-Gropius-Bau