Musik aus dem Exil

Verdrängte Musik – Berliner Komponisten im Exil (1987)

37. Berliner Festwochen – Musik aus dem Exil – Plakat von Gabriele Burde mit einem Gemälde von Felix Nussbaum

Berliner Verluste: Folgenschwerer als die Zerstörung der Häuser traf die Stadt im Innersten die Austreibung geächteter Künstler, Wissenschaftler, Publizisten. Weil sie mahnten, sollten sie verstummen. In den zwölf Jahren von 1933 bis 1945 wurde das über Jahrhunderte gewachsene, auf Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Assimilation fremder Einflüsse gegründete Lebensgesetz Berlins ausgelöscht. Die Stadt der Aufklärung verlor ihre Seele, ihre Identität – nicht durch Naturereignisse oder Fremdherrschaft, sondern durch eine selbstverschuldete Katastrophe, den tiefsten Fall in ihrer 750-jährigen Geschichte.

Die kurze Zeitspanne der Naziherrschaft ließe vermuten, daß sofort nach dem Zusammenbruch das Exil der Mahnenden beendet würde. Wichtiger als der materielle Wiederaufbau wäre es gewesen, die Verstoßenen wieder aufzunehmen und sie an der geistigen Wiederaufrichtung zu beteiligen, von ihnen zu lernen. Aus heutiger Sicht ist es schwer verständlich, daß dies nicht geschah. Es begann für viele Emigranten das Exil nach dem Exil, die erneute Vertreibung aus dem Bewußtsein der neuen Republik. Leiden, Schuld und Verluste verdoppelten sich. Das anhaltende Exil ist deutlicher Hinweis, daß die Nazizeit keineswegs abgelagerte Geschichte geworden ist – einer distanzierten Betrachtung zugänglich –, sondern noch immer unsere Gegenwart bedrängt. In einem der historischen Erinnerung und der Gewinnung von Identität gewidmeten Jubiläumsjahr gehören Benennung und Aufarbeitung schuldhafter Versäumnisse zu den vordringlichen Aufgaben.

Nur wenigen Zeugen der Zeit, die das Exil erleiden mußten, leben noch. Die Nachrichten aus der Verbannung werden spärlicher. Die Gefahr des Vergessens wird größer. Es ist also höchste Zeit für nachdrücklichere Exilforschung, die den Verlust von Zeugnissen aufhellt, sich gegen Gedankenlosigkeit und Vergeßlichkeit stemmt. Der weitgehend biographische und dokumentarische Charakter dieses, eine Konzertreihe „Musik aus dem Exil“ der Berliner Festwochen 1987 begleitenden Buches verweist darauf, daß Geschichte sich im Leben des Einzelnen abbildet, der das Geschehen erlitten hat.   

Ulrich Eckhardt, in: Verdrängte Musik, Berliner Komponisten im Exil, Berlin 1987