Es lebe der Unterschied

„Der Tagesspiegel“ zur aus der DDR übernommenen Musik-Biennale (1997)

Die Musik-Biennale ist längst auch Schaufenster des Westens

„Das Programm der Musik-Biennale will den Besuchern einen Einblick in die schöpferischen Anliegen der sozialistischen und humanistischen Kunst der Gegenwart, bestimmt durch Gegenstand, künstlerische Haltung und Gestaltungsweise, geben. Es enthält neben Werken aus der Deutschen Demokratischen Republik und den sozialistischen Bruderländern Kompositionen aus Westdeutschland und dem westlichen Ausland.“

Grafik atelier:müller

Als 1967 das Ministerium für Kultur der DDR und der Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler die Musik-Biennale begründeten, war der Sozialistische Realismus das Gebot der Stunde. Wohl in Anlehnung an den Warschauer Herbst, das kritisch beäugte Fenster des Ostblocks zur musikalischen Avantgarde des Westens, wollte man den in der DDR auf Bezirksebene stattfindenden Musikfesten mit ihrem Mustermessencharakter nationaler Produktion ein Festival hinzufügen, das auch aktuelle Tendenzen des Auslands zur Diskussion stellte. Allerdings nur, solange es sich um Werke handelte, die, wenn sie schon nicht der „großen Sache des Sozialismus“ verpflichtet waren, doch eine „humanistische Grundhaltung“ erkennen ließen. In den großen Orchesterkonzerten kein Stockhausen oder Boulez also, dafür Henzes 5. Sinfonie (1962) und Benjamin Brittens „War Requiem“ (1961), neben viel Schostakowitsch und Prokofjew anläßlich des 50. Jahrestages der sowjetischen Oktoberrevolution. Zum Programm gehörten, ganz im Sinne von „Weite und Vielfalt“ sozialistischen Kulturschaffens, auch Militär- wie Schulmusikkonzerte, und in den Folgejahren sollten populäre Musik und aus den Bezirken anreisende Betriebsdeligationen für volle Säle sorgen.

Noch bei der XII. Musik-Biennale im März 1989 durften Jazz, Musik für Kinder, eine Oper für Laienensemble und der Biennale-Ball nicht fehlen. Dafür kamen in den audio-visuellen „Klang-Projekten“ im Zeiss-Planetarium erstmals in der DDR Werke von John Cage zur Aufführung, wie sich das Programm überhaupt als Mischung aus international anerkannten Werken und Funktionärsmusik liest. Das Resultat vieler Tauschhändel engagierter Organisatoren mit den Kulturpolitikern eines längst brüchig gewordenen Systems: „Führten wir den Komponisten auf, dessen Frau Abteilungsleiterin beim ZK war, durften wir auch Xenakis spielen“, erinnert sich Heike Hoffmann, die seit 1987 als Dramaturgin am Konzerthaus tätig ist und der seither die Programmgestaltung der Biennalen obliegt. Die Wirren der Wende, die Auflösung des Komponistenverbandes im Sommer 1990 mit Entlassung der Mitarbeiter und Kündigung der Büros hielten sie nicht davon ab, an dieser Aufgabe festzuhalten. „Wir wollten für 1991 ein Programm machen in Hinblick auf ein größeres Berlin. Ein Festival für ein Publikum, das geteilt ist, und das zwei verschiedene Erfahrungshintergründe hat.“ War also früher der Westen dem Osten vorgestellt worden, so sollte nun der Westen mit der von ihm zumeist ignorierten Musik der DDR konfrontiert werden.

Ulrich Eckhardt übernahm als Intendant der Berliner Festspiele Hoffmanns Programm ohne jede Änderung, und die West-Berliner erhielten Gelegenheit, Paul-Heinz Dittrich, Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Juliane Klein, Siegfried Matthus, Friedrich Schenker, Steffen Schleiermacher, Lothar Voigtländer und Stephan Winkler in veritablen Uraufführungen zu entdecken. Die Musik-Biennale gehört zu den wenigen kulturellen Einrichtungen der DDR, die die Wiedervereinigung überlebt haben. Im erfreulichen Gegensatz zur gegenwärtigen Verdrängung unserer geteilten Geschichte hat dieses Festival in den vergangenen Jahren gerade die Unterschiede der kulturellen Identität in Ost und West thematisiert. (…)

Volker Straebel, Der Tagesspiegel, 7. 3. 1997


Die 1967 in Ost-Berlin gegründete „Musik-Biennale – Internationales Fest für zeitgenössische Musik“ wurde bis 1989 vom Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR und vom Ministerium für Kultur ausgerichtet. 1991-2001 wurde sie unter der Leitung von Heike Hoffmann durch die Berliner Festspiele fortgeführt.