Peter von Becker über den langjährigen Vize-Intendanten der Berliner Festspiele
Er ist so alt wie die Berliner Festspiele. Diese hießen im Gründungsjahr 1951 noch „Festwochen“. Aber dass die Künste als Lebenselixier nicht nur eine Frage von Wochen sein sollten, hat Torsten Maß, der die Festspiele unter der Ägide des von 1973 bis 2001 regierenden Intendanten Ulrich Eckhardt wesentlich mitgeprägt hat, sehr früh begriffen.
Der im romantischen Dinkelsbühl geborene Student der Romanistik, Germanistik und Theaterwissenschaft an der Berliner FU kommt als 25-Jähriger zu den Festspielen ins Künstlerische (Bestriebs-)Büro, fällt dort mit seinem Organisationstalent und Enthusiasmus schnell auf.
So betreut Maß, der theaterbegeisterte Romanist, gleich 1976 das bejubelte Gastspiel von Patrice Chéreaus Marivaux-Inszenierung „La Dispute“ und wird zwei Jahre später auch Leiter der Internationalen Berliner Sommerfestspiele.
Die wahre Maß-Einheit ist die Vielfalt. Und weil die Festspiele, zwischen Kaltem Krieg und Mauerfall, West-Berlins Schaufenster zur internationalen Kunstwelt darstellten und Ulrich Eckhardt zum inoffiziellen Kultursenator machten, ist es auch die Hochleistungszeit seines baldigen Stellvertreters Torsten Maß.
Hinter unzähligen Aktivitäten, zu denen Superevents wie 1987 Berlins 750-Jahrfeier oder die Millenniums-Festivitäten gehörten, steckte der Mit- und Vordenker Torsten Maß. Einer der glänzenden Einfälle, die auch den beharrlichen Versuch der Erinnerung an die Folgen von Vertreibung und Holocaust oder Signale der Ost- West-Brücke und der kulturelle Entmauerung zeigen, waren ab 1987 die „Berliner Lektionen“.
Man muss nur auf die Einladungsliste in jenem ersten Jahr schauen: Billy Wilder, Fritz Stern, Jerusalems Bürgermeister Teddy Kollek, der DDR-Physiker Manfred von Ardenne, Wolf Biermann, der Komponist Hans Werner Henze, György Konrád. Dass bei dieser Premiere nur eine Frau – die „Zeit“-Gräfin Marion Dönhoff – dabei war, fällt freilich auf – auch das noch ein Zeichen des zu wandelnden Zeitgeists.
Als Leiter des Berliner Theatertreffens hat Maß im Zusammenspiel mit der Kritiker-Jury und seinen exzellenten Kontakten schon vor dem Mauerfall auch auf die Beteiligung von DDR-Bühnen hingewirkt, in Begleitveranstaltungen den Dialog gefördert. Und seine internationalen Gastspiele mit Aufführungen Peter Brooks, Ariane Mnouchkines, Robert Wilsons, Tadeusz Kantors oder Robert Lepages waren Glanzstücke – in Berlin inzwischen verklärt und vermisst.
Torsten Maß hat sich ab 2002 dann bis vor fünf Jahren in der Bundeskulturstiftung um die künstlerische Projektförderung gekümmert und 2008 in Halle das Festival „Theater der Welt“ geleitet: unter dem schönen Hölderlin-Motto „Komm! Ins Offene!“ An diesem Mittwoch feiert er seinen 70. Geburtstag, und nicht nur die Berliner Kulturwelt gratuliert. Vivat!
Peter von Becker, Der Tagesspiegel, 31. März 2021