Auszüge aus Gesprächen mit jungen Journalisten des Berliner Stadtmagazins Hobo (1974)
Ulrich Eckhardt, seit dem 1. 1. 1973 Leiter der Berliner Festspiele, ist promovierter Jurist. Musische Neigungen haben ihn bewogen, für das Kulturdezernat der Stadt Bonn kulturelle Werbung zu treiben. Seine originellen Ideen machten die Kulturbosse an der Spree auf ihn aufmerksam.
HOBO: Herr Eckhardt, sind Sie der übergeordnete Leiter der ganzen Festspiele oder betreuen Sie nur das Theatertreffen und die Festwochen?
ECKHARDT: Berliner Festspiele, und darauf kommt es mir auch in Zukunft sehr an, sind eine Dachorganisation, unter deren organisatorischer, rechtlicher, künstlerischer Verantwortung fünf Festspielveranstaltungen im Jahr stattfinden: Das Theatertreffen, die Musiktage, die Filmfestspiele, die Festwochen und die Berliner Jazztage. Darüber hinaus noch einige Gastspiele, z. B. Strehler mit dem „Re Lear“. Was nun die künstlerische Verantwortung angeht, so ist sie nur zum Teil bei mir. Was das Theatertreffen angeht wird ja die Auswahl von einer Jury vorgenommen, an deren Entscheidungsfindung ich zwar auch beteiligt bin, aber nicht maßgeblich, sondern die Jury wählt ja aus und wir haben gemeinsame Sitzungen. Meine Tätigkeit beschränkt sich auf ein Vorschlagsrecht.
Das Theatertreffen und das Forum junger Bühnenangehöriger
HOBO: Schon die organisatorische Abwicklung läßt es nicht zu, daß der Kreis der Besucher groß ist. Nach Abzug der Presse- und Honoratiorenkarten werden doch sicher nicht mehr als anderthalbtausend Berliner eine Aufführung sehen können?
ECKHARDT: Das muß man untersuchen. Das Theatertreffen hat ja nicht die Aufgabe – das gebe ich ganz offen zu, darüber habe ich mich ja auch schon an verschiedenen Stellen öffentlich und schriftlich geäußert – das Theatertreffen hat ja nicht wie die Arbeit des Schillertheaters, der Schaubühne und der Volksbühne hier eine Breitenwirkung, kann es ja gar nicht ausüben. Also diese kontinuierliche Arbeit, didaktisch dramaturgisch aufzubauen, das ist nicht die Aufgabe des Theatertreffens. Und es ist zwar so, daß wir für die Eröffnungsveranstaltung 20 % der Karten an Mitglieder der Theater, Gäste, Presse und Ehrengäste abgeben, aber 80 % frei verkauft werden. Am jeweiligen zweiten Abend sind es dann 100 % , das sind also etwas mehr als 1.500 pro Inszenierung, wie Sie sagten, und unter diesen 1.500 finden Sie dann noch sehr viele Leute vom Fach, Schauspieler etc. Trotzdem bleiben noch gut 1.000 Leute, so daß die vom Theater erwarteten Publikumstests möglich sind.
Aber das Treffen hat in etwa die Aufgabe einer Informationsmesse und wird insofern in erster Linie von Leuten besucht, die schon motiviert sind. Und es hätte auch wenig Sinn, mit der Aufgabenstellung darüber hinaus zu gehen, weil man das organisatorisch und finanziell gar nicht bewältigen kann. Es ist ja so, daß jede weitere Aufführung das Defizit vergrößern würde. Im übrigen gehört zu einem Festival wie dem Theatertreffen auch der überschaubare Zeitraum.
Wir haben zur Maßstabbildung mit beizutragen und auch zur Anregung der Theaterszene. Wir leisten also, kulturpolitisch gesehen, keine primäre, sondern eine sekundäre Arbeit.
HOBO: Das heißt also, sie sehen Ihre Funktion nicht darin, in diesen Veranstaltungen Publikumserziehung zu betreiben, neue Publikumsschichten an das Theater heranzuführen?
ECKHARDT: Es ist sicher nicht die Aufgabe, neue Schichten heranzuführen. Das kann man nicht, ohne eine solide dramaturgisch-pädagogische, didaktische laufende Arbeit. Das ist die Aufgabe der staatlichen Bühnen und der staatlich unterstützten Privattheater.
HOBO: Es gibt im Theatertreffen Veranstaltungen völlig unterschiedlicher Art. Das eigentliche Theatertreffen und das Forum junger Bühnenangehöriger. Fällt auch das in ihre Verantwortung, wird auch das von Ihnen organisiert?
ECKHARDT: Ja, es wird von mir organisiert. Die Durchführung selbst und die fachliche Verantwortung ist delegiert an Dr. Linke, der das ja seit Jahren macht. Das Forum ist eine begleitende, seminarartige Veranstaltung mit Fortbildungscharakter. Im übrigen gibt es keine vergleichbare Sache im gesamten deutschsprachigen Theaterraum. Was ich sehr bedaure, denn wir, die wir eigentlich gar nicht zuständig sind, füllen eine Lücke aus, nämlich die Fortbildung für junge Theaterangehörige. Eigentlich ist das ja eine Aufgabe, die öffentliche Stellen, der Bühnenverein oder sogar die Bundesanstalt für Arbeit durchführen müssten. Kein Industrieunternehmen arbeitet heute ohne Fortbildungseinrichtung und ohne Forschungseinrichtung, bloß die Theater glauben sich den Luxus leisten zu können, die Leute ohne Fortbildungsmöglichkeit zu halten. Deswegen findet die Begegnung junger Bühnenangehöriger hier statt. Das Theatertreffen ist natürlich eine gute Gelegenheit, weil diese 10 Aufführungen ein Panorama des deutschen Theaters sind und damit viel Anlaß zu Kritik und Diskussion gegeben ist. Außerdem bemüht sich Herr Linke, das zu thematisieren, in diesem Jahr Realismus auf dem Theater und auch internationale Leute dazu zu nehmen, so daß es dann eine wirkliche Arbeitsphase ist, diese zwei Wochen für das Seminar.
Die Festwochen
HOBO: Sie bieten bei den Festwochen Berliner Eigenbeiträge an, sei es das Programm der hier ansässigen Sprechtheater, Orchester, anderen Musikvereinigungen oder den regulären Spielplan der Deutschen Oper, die keine Exklusivveranstaltungen sind. Wie verstehen nun Sie die Art dieser Beiträge im Rahmen des Festwochenprogramms?
ECKHARDT: Ich habe eigentlich aus all dem, was ich vorfand, den Eindruck gewonnen, daß man am ehesten so vorgehen sollte, um überhaupt eine Formel zu finden für das ganze Unternehmen, auch für seine Legitimation, daß man so ein 4-wöchiges Festspiel mit Hilfe von Berliner-, auswärtigen- und ausländischen Beiträgen in seiner Thematik so strukturiert, daß damit eine komplexe Aussage zu einem bestimmten ästhetischen Problem, kulturgeschichtlichen Phänomen oder zu einer aktuellen Strömung, oder was immer auch, zusammenbringt. Sie haben vollkommen Recht, Festwochen dürfen sich nicht erschöpfen, indem man alles, was jetzt so im September gemacht wird in Berlin, zusammenschreibt auf ein Blatt und noch ein paar Rosinen drauf tut. Nur hat sich in der Praxis gezeigt, daß dieser Weg zu einer schärferen Konturierung inhaltlich-dramaturgisch doch mühsamer ist, als ich das annahm, und daß es ein paar Jahre dauert, bis das richtig durchkommt. Das hängt damit zusammen, daß natürlich die Kultur von vielen Institutionen gemacht wird, die nicht ohne weiteres unter einen Hut zu bringen sind.
HOBO: Da gibt es doch, wenn wir richtig informiert sind, einen künstlerischen Beirat oder ein Gremium, in dem die Leute sitzen, die dafür verantwortlich sind.
ECKHARDT: Es gibt einen Beirat, der gerade unter diesem Aspekt gegründet worden ist, der aber jetzt erst anfängt und das braucht auch noch Zeit, bis die Arbeit in dem Gremium nach und nach entsteht. Ich habe ganz gute Aussichten, daß auf der Basis der diesjährigen Zusammenarbeit es noch ein bißchen besser wird und das bedeutet dieser 3-Jahresplan, von dem ich in der Pressekonferenz gesprochen habe. Ich hoffe also, im Jahre 1976 dabeizusein, das etwas reiner ausprägen zu können als in diesem Jahr. In diesem Jahr ist es in Teilen gelungen, aber noch nicht im Ganzen. Teile des Gesamtprogramms fallen also noch heraus aus dieser Bündelungsidee. Sie werden mir zugeben, daß dann, wenn man die Sache von der dramaturgischen Seite her sieht, die Berliner Beiträge in Verbindung mit den Eigenbeiträgen der Berliner Festspiele oder mit eingeladenen auswärtigen Produktionen mehr Sinn bekommen als bisher. Z.B. wenn man Beiträge braucht, um ein Portrait einer bestimmten Epoche zu zeichnen, daß man das dann mit Berliner Beiträgen versucht. Aber das ist natürlich ein Prozess, der so schnell nicht geht, zumal sie heute, wenn sie etwas Fundiertes machen wollen, anderthalb Jahre brauchen. Denken Sie mal, wie lange das Antikenprojekt Schaubühne vorbereitet wurde. Und das nur an einem einzigen Objekt und in einer Institution. Und nun überlegen Sie sich meine Schwierigkeiten mit so vielen Leuten reden und verhandeln zu müssen, um das überhaupt auf einen Nenner zu bringen, das ist eine schon fast kaum noch erfüllbare Aufgabe. Ich kann nur darauf hoffen, daß sich die Einsicht bei den Partnern so nach und nach durchsetzt und daß die auch von sich aus auf mich zukommen, was jetzt noch nicht so der Fall ist. Warten wir erst mal ab.
HOBO: Es ist also vordringlich nicht ein finanzielles Problem, sondern ein Problem der Koordination der beteiligten Kulturträger.
ECKHARDT: Ein finanzielles Problem ist es auch. Denn wenn man sich frei macht von Tourneegastspielen, die ohnehin in Europa kursieren, da bin ich künftig gar nicht mehr daran interessiert, die auch noch zu haben. Das ist ja dieser Kulturtourismus. Die Sachen selbst zu machen, sie gezielt in Auftrag zu geben, das ist natürlich wesentlich teurer, also auch ein Finanzproblem. Man kommt dann also nicht drum herum, weniger zu machen.
HOBO: Dürfen wir nochmals zurückkommen auf die Festwochen und zu deren Beiträgen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, daß viele ausländische Orchester geboten worden sind, daß auf dem Gebiet der Oper aber kaum etwas geschehen ist.
ECKHARDT: Das hat finanzielle Gründe. Es ist völlig Illusion geworden, Operneinladungen auszusprechen, da müßte ich meinen halben Etat hinblättern und das würde doch niemand wollen. Man müßte ganze andere Teile opfern. Etwa Sprechtheater, oder Bildende Kunst, die soll ja auch wieder gemacht werden. Große Orchester, das ist schon eher eine Möglichkeit des Verzichts. Die können ja auch auf Tourneebasis hier sein und wir haben ja die Philharmoniker, das ist also eine Sache, auf die man als erstes verzichten kann. Ich habe ja in diesem Jahr die Wiener Philharmoniker als Eröffnungsveranstaltung, und da kommt als besonderer Aspekt dazu, daß die Wiener Philharmoniker mit Abbado – und insbesondere gerade in der Person Abbados – ein großes Interesse haben, hier Wiener Schule und Arnold Schönberg zu spielen, was sie ja noch nicht mal zu Hause tun. Eine völlig neue Sache, und ich wollte den kulinarischen Konzertbesuchern doch mal zeigen, daß man innerhalb der etablierten Institutionen noch ’ne Menge verändern kann, wofür ja Abbado den besten Beweis gibt. Dasselbe gilt übrigens auch für Pollini, der die Schönbergschen Klavierwerke spielt. Ich benutze also die auch unter kulinarisch orientierten Kreisen bekannten Künstler, um etwas Zusätzliches hineinzutragen. Wenn sie normal unter Tourneegesichtspunkten von einem privaten Veranstalter engagiert würden, dann kriegten Sie sofort zu hören, Schönberg dürfen Sie nicht spielen. Aber ich sage ausdrücklich, ihr dürft überhaupt nur kommen, wenn ihr Schönberg spielt. Insofern gibt es dadurch ganz interessante Koppelungen von Attraktivitäten auch für ein breites Publikum durch den Namen. Leider ist das so, daß das Publikum häufig auf den Namen reagiert, aber in Kombination mit einer dramaturgischen Überlegung, 20. Jahrhundert vorzustellen, das ist, wenn Sie so wollen, auch strategisches Denken.
HOBO: Könnte nicht auch eine Co-Produktion mit weniger exklusiven Festspielorten möglich sein? Oder vielleicht eine Zusammenarbeit mit der ‚Gruppe Neue Musik‘, die sich in Berlin ja auch rührig um Musiktheater bemüht?
ECKHARDT: Das letzte, was Sie sagen, ist für mich das Wichtigste dabei – daß wir auch Aufträge vergeben oder Zusammenarbeit anstreben mit neuen, eigenen Werken, die wir dann von uns aus gerne weitergeben. Das ist ja noch in der Mache. Für das nächste Jahr haben wir ein paar Geschichten, die hier aufgebaut und entwickelt werden und die dann weitergehen in andere Festivals. Besonders intensive Absprachen sind mit Paris getroffen worden, weil dort die Interessenlage ähnlich ist. Das ‚Festival de l’Automne‘, das es ja noch gar nicht so lange gibt, verfolgt das Ziel, dem experimentellen Theater eine Chance zu geben und der neuen Musik, und eben neuen Entwicklungen, die ohne dieses Festival nicht zum Zuge kämen, weil die etablierten Einrichtungen schon etwas zu schwerfällig arbeiten. Und das ist vergleichbar mit unserer Lage, obwohl es hier etwas besser ist als in Paris, denn immerhin sind die vorhandenen Institutionen dem Neuen weiter geöffnet als es in Paris der Fall ist.
HOBO: Aber Sie können nicht abstreiten, daß die Festspiele gleichzeitig Werbeträger für Berlin sind und vom Senat auch vor allem als Werbeträger betrachtet werden.
ECKHARDT: Ich würde sagen, daß ist eine aus der ganzen Sache resultierende Funktion, die aber sicherlich nicht im Vordergrund steht, die uns aber politisch hilft. Sie ist im Grunde die Konsequenz aus einer erstmal hier entstandenen und für hier gemachten Konzeption. Denn wenn wir hier für Berlin und aus dem Berliner Bedürfnis und auch aus dem kritischen Bedürfnis des Berliner Publikums – es ist ein anderes Publikum, kein kulinarisches wie an anderen Orten – also wenn man aus diesem Bedürfnis heraus eine profilierte Gestalt hat, dann strahlt man nach außen aus. Meine Idee und mein Ziel ist es ja – wir wollen nicht Salzburg nachmachen. Da haben wir ja gar keine Chance und fehlt uns ja alles. Wenn wir versuchten, genau solche touristischen und pluralistischen Additionsfestivals zu machen wie anderswo, dann würden wir ja verlieren. Dann würde auch die Strahlkraft geringer sein, als wenn wir aus der Berliner Lage heraus einen Sonderfall eines Festivals entwickeln. So meine ich, wird die Attraktion von außerhalb größer sein, als wenn wir sagen, wir haben hier auch ein Festival. Wir wollen ja nicht ‚auch ein Festival‘ haben, sondern es sollen die Berliner Festspiele sein. Das formale Experiment ist in Berlin glaube ich, nicht so möglich und nicht so notwendig wie die historische Analyse. Das ist eine Lage, die man nutzen kann, und die ein reiches Potential bietet für Strukturüberlegungen für ein Festival. Denn gerade solche Analysen bedürfen ja der Belegung von allen Seiten. Und da fehlt an sich – ja, das könnten die Festspiele sein, – eine koordinierende Stelle, die sagt, hört mal, liebe Mitstreiter, können wir da nicht mal etwas zusammenfügen zu einem Bild, das dann eine kräftige Aussage bietet und das dann den geschilderten Publikumsbedürfnissen liegt. Das Ergebnis unterm Strich ist dann, um nochmals auf Ihre Frage zurückzukommen, eine stärkere Ausstrahlung nach außen. Jedenfalls mehr, als wenn man sich nur krampfhaft bemüht, mit Salzburg oder Edinburgh im Wettrennen zu bleiben.
Das Gespräch führten Urban
Münzer und Robert Werther
Auszüge aus: Hobo – Berliner Wochenmagazin, Nr. 20 + 36, 1974