50. Berliner Festwochen – Ulrich Eckhardt im Interview (2000)
Ulrich Eckhardt zählt zu den prägenden Kulturmanager-Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegszeit. Der 1934 Geborene studierte Jura und Dirigieren. Seit 1973 leitet er die Berliner Festspiele.
Herr Professor Eckhardt, Sie waren 28 Jahre lang Intendant der Berliner Festspiele. Da müssen Sie doch vor tausenderlei Erinnerungen geradezu überquellen.
Es ist ja das typische Kennzeichen für einen Festspielleiter, dass er eigentlich immer in der Zukunft lebt. Deswegen sind diese 28 Jahre auch wie im Fluge vergangen. Ganz allmählich erst verlangsamt sich jetzt das Tempo, ich denke nur noch bis 2002 voraus und das auch nur noch in Teilen. Ich muss, zugeben, in Sachen Erinnerungen bin ich ganz schlecht.
Aber an Ihren Anfang als Festwochenintendant 1973 erinnern Sie sich noch?
Natürlich, besonders, weil mein Anfang in Berlin ja in doppelter Hinsicht eine Rückkehr war: Die Berliner Festspiele hatten ihre Büros damals im linken Flügel des ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasiums an der Bundesallee, einem klassizistischen, symmetrischen Gebäude. Im rechten Flügel residierte das Sternsche Konservatorium, Berlins zweite Musikhochschule, an der ich in den sechziger Jahren Dirigieren studiert hatte. Als ich nun 1973 nach Berlin kam, konnte ich ein Büro beziehen, das auf derselben Etage lag wie der Saal, in dem wir damals Dirigierunterricht hatten, nur eben spiegelbildlich auf der anderen Gebäudeseite. Das war schon ein witziger Zufall. Ja, und jetzt kehren die Festspiele zum Ende meiner Amtszeit tatsächlich aus der Budapester Straße wieder fast dorthin zurück, wo ich einst meinen Job angetreten habe, nämlich ins Festspielhaus an der Schaperstraße, also in die ehemalige Freie Volksbühne.
Und außerdem können Sie die Festspiele nun vollständig in Bundesregie übergeben.
Es macht mich natürlich froh, dass ich mich zum Ende meiner Amtszeit selber entbehrlich und die Firma unentbehrlich gemacht habe.
Andererseits ist viel kritisiert worden, dass die Festspiele mit der Freien Volksbühne nun erstmals ein festes Haus bespielen wollen.
Ich muss ehrlich zugeben, in diesem Punkt bin auch ich hin und her gerissen. Wir veranstalten gerade das spannende Programm „Die Stadt als Bühne“, das so viele Überraschungen bietet, Aufführungen an Orten wie dem Auswärtigen Amt, im Kanzlerpark, den noch keiner vorher gesehen hat, oder im Haus der Bundespressekonferenz. Ich möchte natürlich sehr gerne, dass solche Aktionen auch in Zukunft stattfinden, auch wenn es die Freie Volksbühne als Festspielhaus gibt. Andererseits können die Festspiele nun auch eine Aufgabe erfüllen, die früher schwerer zu realisieren war, nämlich Welttheater in Berlin zu präsentieren. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass man in ein eigenes Haus auf Zeit heimatlose Truppen einladen kann, damit sie hier Produktionen machen. Wenn ich mein eigener Nachfolger wäre, würde ich mir das auf die Fahnen schreiben. Viele Gruppen, besonders aus Osteuropa, brauchen Hilfe von uns und erwarten sie auch mit Recht. Und natürlich würde ich in der Volksbühne auch das künftige Berlin-Ballett aufnehmen, das eine Bühne braucht, die sich für modernen Tanz eignet. Denn dafür scheiden sowohl die Opernhäuser als auch das Hebbel-Theater aus.
Das klingt fast so, als hätten Sie sich wirklich gerne selber für ihre Nachfolge beworben, wie Sie neulich auf der Festwochen-Pressekonferenz gesagt haben…
Nein, das war nur ein Witz. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jetzt eine Zäsur kommen muss.
Dann lassen Sie uns doch noch etwas über die Vergangenheit sprechen. Es gibt so manchen „Stammgast“, der den Festwochen über lange Zeit treu geblieben ist,wie Dietrich Fischer-Dieskau oder auch die Komponisten Aribert Reimann und Sofia Gubaidulina.
Es gab starke Bindungen an einige Künstler, dazu bekenne ich mich ganz offen. Aber das beruht auch auf Gegenseitigkeit. Ich habe immer wieder beobachtet, dass es in künstlerischen Kreisen nirgendwo so treue, langjährige Freundschaften gibt wie in der Musik. Ich bin manchmal wirklich gerührt, dass jemand, den ich zehn, zwanzig Jahre nicht gesehen habe, sich noch an Details von früheren Begegnungen erinnern konnte. In der Bildenden Kunst gibt es nur Hauen und Stechen, das liegt wohl an den harten Marktgesetzen des Genres, im Theater spielen Eifersüchteleien eine viel größere Rolle, auch Beleidigungen werden ewig nachgetragen. In der Musik gibt es dagegen eine unglaubliche Treue. Es ist eben eine Kunst, die das Zusammenspiel fordert, die Befähigung zu sozialen Kontakten sehr viel stärker schult als andere Genres.Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb die Musik, trotz aller Tummelei in anderen Gebieten für mich letztlich immer Hintergrund war, von dem aus ich meine persönlichen Einstellungen gewonnen habe.
Zum 31. Dezember 2000 übergeben Sie offiziell Ihr Amt an Joachim Sartorius. Was kommt danach?
Eines habe ich mir vorgenommen, und ich hoffe, dass ich konsequent sein kann: Ich will nichts mehr machen, was mit diesem Beruf zu tun hat, keine Festivals veranstalten und noch nicht einmal welche beraten. Das ist aus und vorbei.
Sie sind promovierter Jurist, gelernter Pianist und Dirigent. Da bieten sich ja noch viele Beschäftigungsmöglichkeiten an für den Unruhestand!
Es reizt mich in der Tat, mich aktiv mit der Musik zu beschäftigen, nicht mehr nur organisierend. Die Haupttätigkeit des Intendanten besteht ja im Moderieren. Jetzt will ich mich wieder der Praxis zuwenden. Im Klavierspiel habe ich mich immer – wenn auch notgedrungen auf kleiner Flamme – fit gehalten, nun habe ich besonders Lust auf Kammermusik und auch auf Liedbegleitung. Auch Orgel habe ich früher sehr gerne gespielt, aber da muss ich fast noch einmal von vorne beginnen.
Reizt es Sie nicht, auch wieder Orchester zu dirigieren?
Meine Jahre als Kapellmeister am Stadttheater von Münster waren schon sehr spannend. Da musste man alles machen, Klavier spielen, Operette, Oper. Aber es hatte schon seine guten Gründe, warum ich 1968 als Kulturreferent nach Bonn gewechselt bin.
Immerhin haben Sie doch auch bei Karajan studiert!
Das stimmt. Die Studienplätze am Sternschen Konservatorium waren nämlich auch deshalb so begehrt, weil man dort an Praktika bei Herbert von Karajan herankam. Ich erinnere mich beispielsweise noch, wie der junge Seiji Ozawa das erste Mal bei uns auftauchte. Er fuhr in einem klapprigen Simca vor, doch als er den ersten Einsatz gab, fielen nicht nur die Musiker der Berliner Symphoniker fast von ihren Stühlen, sondern auch Karajan war total begeistert.
Später trat dann der Dirigierschüler Eckhardt seinem Lehrer Karajan als Intendant der Berliner Festspiele gegenüber.
Der große Maestro wollte diesen neuen, jungen Intendanten kennenlernen – ich war ja damals gerade erst 39 Jahre alt -, und lud mich darum nach einem Konzert in sein Stammlokal ein. Ich glaube, es waren die „Tessiner Stuben“. Das war natürlich eine große Ehre für mich. Da wir Jüngeren zu der Zeit alle sehr politisiert waren, begann ich wie selbstverständlich beim Essen den Komponisten Anton Bruckner, von dem Karajanan dem Abend eine Sinfonie dirigiert hatte, politisch zu beleuchten. Da wurde Karajan ganz stumm. Hinterher hat er dann zu seinen Mitarbeitern gesagt: Der Eckhardt, das ist ja ein Kommunist! Dann war einige Zeit Funkstille zwischen uns. Obwohl er mich oft schlecht behandelt hat, war er mir aber doch bis zuletzt freundschaftlich zugetan, wie mir Eliette von Karajan nach seinem Tode sagte. Gezeigt hat er das allerdings nicht sehr deutlich.
Frederik Hanssen, Der Tagesspiegel, 30. 8. 2000
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