„Die Zeit“ zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987
Der Organisator der (West-)Berliner 750-Jahr-Feier mischt leise Töne ins Jubiläum
Nirgends steht geschrieben, wie eine Stadt ihre Feste zufeiern hat. Für ein Jubiläum, auch wenn es sich nur um den 750. und dürftig verbürgten Geburtstag handelt, könnte man sich einen Umzug, ein Feuerwerk, einen feierlichen Staatsakt, viel Reden und viel Musik vorstellen. Bei einer geteilten Stadt, in der beide Seiten ihr Eigenleben führen, würde man sich das Ganze gleich zweimal denken.
Daß der Trubel in Berlin nicht auf eine plumpe Doppelung derFeierlichkeiten hinausläuft, ist einem Mann zu verdanken, dessen Name mit Feinsinn und Fingerspitzengefühl, keineswegs aber mit grell erleuchteten Spektakeln assoziiert wird. Ulrich Eckhardt, Intendant und Geschäftsführer der (West-)Berliner Festspiele GmbH, zieht es vor, mit seinen Entwürfen gegen den Strom zu schwimmen, ihnen ein Thema zu unterlegen und es dann bis zum Schluß eines Festivals durchzuziehen.
Ein Umzug hätte da nicht hineingepaßt, „dafür gibt es in Berlin auch überhaupt keine Tradition“. Aber der, bekennt der Beauftragte für die 750-Jahr-Feier, „ist mir zum Glück auch erspart geblieben“. An die Stelle wird nun ein im Vergleich lautloser Wasserkorso gesetzt. Alles, was die durch Paraden, Märsche und Festzüge beherrschte 700-Jahr-Feier der Nazis konterkariert, kann dem 53jährigen nur recht sein. Die damalige Schau, zu einer Zeit, als der Exodus schon begann, „diesen Makel konnte die Stadt nicht auf sich sitzen lassen. Die 750-Jahr-Feier ist auch eine Reaktion auf die 700-Jahr-Feier.“
Als „Rummelplatz-Organisator“ hätte er diese Aufgabe nicht übernommen. Wie die Ausstellungen über die zwanziger Jahre, die Gründerzeit und (1981) die Preußen bewiesen, kommt es ihm darauf an, die Phänomene in ihren politischen, sozialen und kulturellen Verflechtungen zu zeigen, ihnen das Pathos zu nehmen, sie zu entmystifizieren und einer neuen Betrachtung zu öffnen. Kernige Präsentationen führen am Wesen und an der Geschichte der Stadt vorbei. So mag der Senat einer weisen Eingebung gefolgt sein, als er den kulturellen Sachwalter aus sozial-liberaler Zeit mit dem heiklen Unterfangen betraute.
Ende der Tabus und der Verdrängungen
Dem Volljuristen und ehemaligen Kapellmeister, den vor 14 Jahren der sozialdemokratische Kultursenator Werner Stein in die Stadt geholt hat, wird von allen Seiten Gespür für neue Strömungen und Talente nachgesagt. Und – was Berliner im Moment besonders schätzen – über all die Jahre hat er sich und sein kleines Team aus allen Skandalen und Affären herausgehalten.
Keineswegs ging es ihm um die 750 Jahre, von denen „500 höchst durchschnittlich waren“. Er findet es viel faszinierender, über den mit Erwartungen betrachteten Fixpunkt eine neue Ära des Bewußtseins einzuläuten. Ihn zum Anlaß zu nehmen für einen neuen Abschnitt, der da heißt: Ende der Nachkriegszeit, Ende der Tabus und der Verdrängungen; Verschüttetes soll nach oben gekehrt und Schluß gemacht werden mit der Vergeßlichkeit der letzten 40 Jahre. „Das macht die Bedeutung eines solchen Jahres aus.“
Vor einiger Zeit schon ist ihm aufgefallen, wie sich überall in Berlin kleine Gruppen von Wissenschaftlern, Künstlern und Kiez-Initiativen zu Wort melden, „um sich des Feldes zu versichern, auf dem sie stehen“. Auf die Abrißmentalität vorangegangener Jahrzehnte kommt er sofort zu sprechen, auf die Zeit, in der Gebäude wie die Kroll-Oper, Lehrter Bahnhof, Anhalter Bahnhof oder Prinz-Albrecht-Palais radikal aus dem Stadtbild getilgt wurden, obwohl sie hätten wiederaufgebaut werden können. „Da“, setzt er hinzu, „war System dahinter, das war kein Zufall.“ Dieser Geschichte, „die man glaubte zum eigenen Nutzen vergessen zu können“, wollen er und seine Mitarbeiter an dem Ort zu ihrem Recht verhelfen, „der ins Unterbewußtsein abgerutscht war“, in der Gegend um den Anhalter und den (inzwischen restaurierten) Hamburger Bahnhof.
Neben einer „Reise nach Berlin“, einem Film- und Literaturprogramm, wird im Mai in der Prinz-Albrecht- Ecke Wilhelmstraße die Geschichte des Gestapo- und SS-Geländes dokumentiert – „Topographie des Terrors“ wird sie heißen. Einige Schutthügel wurden liegengelassen, um die „absichtsvolle Vergeßlichkeit“ zu zeigen.
Eine Stadt sucht ihre Identität
Unmengen von Prospekten und Broschüren hat die Stadt bereits in alle Welt verschickt, um zum demnächst beginnenden Festjahr zu laden. Hoteliers freuen sich auf volle Betten und Gastronomen auf reichlichen Verzehr. Trotzdem – Eckhardt teilt nicht die Befürchtung, daß hereinbrechende Touristen das Jubiläum zur reinen Gaudi machen. „Wer irgendwohin reist, hat bestimmte Motive. Ich glaube nicht an eine bewußtlose Reise ausgerechnet nach Berlin.“ Und wenn … „da wäre die Wirklichkeit einfach viel stärker“. Die beiden zentralen Ausstellungen im Gropius-Bau „Berlin, Berlin“ (von Rürup/Korff) und „Ich und die Stadt“ (von Eberhard Roters) werden viele Facetten zeigen.
Keineswegs ist der „Gewährsmann der kulturellen Kompetenz“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) ein Gegner der leichten Kost, er hat sie von Anfang aneinbezogen. Doch soll auch bei den unterhaltenden Glanz- und Höhepunkten noch die Fragestellung durchscheinen, das Motiv: eine Stadt sucht ihre Identität. Damit das Programm keine falsche Schlagseite bekommt, hat er rechtzeitig Konzept und Koordination an sich gezogen. Nicht „Wir sind wer!“ soll in der den Berlinern unterstellten Großmannssucht herumgetönt werden, sondern leise, aber vernehmlich gefragt werden: „Wer sind wir?“
Wenn Ulrich Eckhardt bisher nicht im Scheinwerferlicht gestanden hat, liegt das durchaus in seiner Absicht. Da, wo er wühlt und gräbt, stört publizistisches Geklapper. Seine persönlichen Kontakte mit den Künstlern pflegt er im stillen. Diplomatie und Verschwiegenheit gehören dazu. „Man muß einladend sein, vertrauenswürdig und sehr lange daran arbeiten, daß man Vertrauen hat.“
Sich-selbst-feiern sei unberlinerisch, sagt er. Dann kann die in Anzeigen beschworene „größte Geburtstagsfeier Deutschlands“ jedoch nicht wie Musik in den Ohren des Ex-Dirigenten klingen. Das ist ihm zwar auch entschieden zu laut, doch mag der „Veranstaltungsprofi“ deswegen nicht auf populäre Höhepunkte verzichten. Jeder soll etwas von dem Fest haben.
Geist der Aufklärung
Ihm liegt es fern, mit erhobenem Zeigefinger herumzulaufen. Auch wenn er weiß, daß sein „Spagat“ zwischen nachdenklichen Veranstaltungen und den Open-air-Revuen am Großen Stern (deswegen SternStunden) um die Siegessäule herum scheitern kann. Versuche, Berliner Geschichte und Mentalitätüber die Rampe zu bringen, haben schon häufig in blamabler Plattheit geendet und vermutlich die unerträglichsten Berlin-Klischees produziert.
Schnoddrigkeit und Schlagfertigkeit wirken im Kiez, selten auf der Bühne. Doch auf das Können der Regisseure (unter anderen Hansgünther Heyme, Götz Friedrich und Helmut Baumann) vertrauend, setzt er auf die zweite Möglichkeit: „Wenn man damit reüssiert, hat man auch viel für die Aufklärung getan.“
Berlin hat für den Westfalen und ehemaligen Bonner Kulturreferenten immer noch viel vom Geist der Aufklärung, die Moses Mendelssohn, Nicolai und Lessing begründeten. Bis heute habe sich trotz des Verlustes des jüdischen Geistes und Witzes etwas davon erhalten. Das Stück über den berühmten Aufklärer wird man dorthin verlegen, wo Krieg und Grenzziehung Berlin am sichtbarsten entstellten. „Nathan im Tiergarten“, Heymes Essener Inszenierung wird am Potsdamer Platz, direkt an der Mauer gespielt.
Das Programm ist umfangreich, läßt aber genug Luft für die – offiziell erwünschten – Ost-Besuche. Womit wir bei der nicht sonderlich beliebten Frage nach den Unterschieden zwischen beiden Feiern wären. Man hat sich im Westen darauf geeinigt, dem Ost-Jubiläum mit größtem Respekt zu begegnen. Soviel kann Eckhardt aber trotz gebührlicher Achtung vor der anderen Seite sagen: „Da die Feier dort ein Vehikel zur Staatslegitimation ist, ist sie repräsentativer und konventioneller.“
Er hätte nicht den Ruf eines unermüdlichen und einfallsreichen Kulturpolitikers, würde er sich vom Jubiläum nicht auch einen Segen für die Festspiele erhoffen, mit denen seine Organisation Jahr für Jahr die Stadt überzieht. Den erwartet Eckhardt vor allem von der anderen Seite. „Die Tür nach Ost-Berlin“, glaubt er, „wird sich Ende 87 noch weiter geöffnet haben – allein dadurch, daß beide Teile international auf das gleiche Feld geraten sind: Sie können sich vorstellen, was das für die Kunst bedeutet.“
Dorothea Hilgenberg, Die Zeit, 13. 3. 1987
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